Dem Züchter des Europameisterpferdes DSP Chakaria von André Thieme ist das Pferdegen in die Wiege gelegt worden.
(Polzow). Wer Landwirtschaft, Pferdezucht und Reitsport im Einklang mit weitläufiger Natur in einem großen Familienverband hautnah erleben möchte, muss nach Polzow bei Pasewalk fahren. Nicht nur dort, seit Jahren ist der Familienname Jürgens in ganz Norddeutschland in aller Munde. Über den „Familienverband Jürgens“ eine ausführliche Geschichte zu schreiben, würde viel Platz benötigen. In diesem Beitrag wollen wir uns auf den zweiten von vier Geschwistern, den 62-jährigen Martin Jürgens konzentrieren. Jürgens, das ist eine Familie die 1933 im Zuge der damaligen Aufsiedlung großer insolventer Güter nach Polzow kam. Martin wuchs mit seinen Geschwistern Burkhard, der in der Blüte seines Lebens, in dem sich auch alles um Pferde drehte, tödlich verunglückte, Renate, Olaf und Regina bei seinen Eltern Hans-Karl (85) und Edith (82) in der Polzower Dorfstraße 24 auf. Reitsport und bei den Eltern auch Pferdezucht in der ehemaligen LPG, gehörten schon vor 1990 zum festen Bestandteil der Familie.
Die politische Wende brach schlagartig die Energie, Risikofreude und Fähigkeit hervor, die in dieser Familie steckt. Martin hatte sich schon vorher ein Grundstück in der Dorfstraße 9 gekauft, auf dem seine Kinder Wilhelm (37), Anna (34) und Elisabeth (25) geboren wurden. Alle fünf Geschwister Jürgens waren vom Pferdevirus infiziert und aktive Reiter. Während Renate einen Reiter aus der Altmark heiratete, dort lebte und auch ihre Töchter Silke und Anne für den Reitsport begeisterte, gründete Bruder Olaf zusammen mit seinem Vater als GbR einen Milchviehbetrieb in der Krugsdorfer Straße, nur 200m vom Grundstück seines Bruders Martin entfernt. Milchpreise und Quote waren der Grund, dass Olaf den Betrieb mit seiner Frau Gesine, eine ehemalige Potsdamerin (beide mit Landesmeistermedaillen dekoriert), umbaute und ganz auf Pferdezucht mit zirka 13-14 Stuten und Reitsport ausrichtete. Die Kinder Ludwig (23) und Luise (18) gehen ebenfalls für den Reitsport auf. Die Nachfolge des Hofes mit Pferden und Ackerbau ist gesichert und wird eines Tages von Ludwig übernommen, der dazu eine Fachschulausbildung gemacht hat.
Martin Jürgens wiederum, der bis 2013 selbst im Sattel saß, hat sein Grundstück in der Dorfstraße 9 zunächst auch zu einem Milchviehbetrieb ausgebaut und 2014 aus ähnlichen Gründen wie sein Bruder in einen angesehenen und sehr erfolgreich operierenden Pferde- und Reitbetrieb mit Ackerbau umgerüstet. Bei seinen Kindern ist die Begeisterung für Pferde ebenfalls früh erwacht. Wilhelm hat auch geritten, ist aber nicht mehr auf dem elterlichen Hof. Anna gehört seit Jahren zu den erfolgreichsten Springreiterinnen in MV, ebenfalls dekoriert mit Meisterschaftsmedaillen. Auch Elisabeth ist nach ihrer landwirtschaftlichen Ausbildung wieder auf den Hof ihres Vaters gekommen und erfolgreich in den Sattel gestiegen.
Anna, die Pferde ihres Vaters reitet, ist mit Ulf Ebel verheiratet, der einst aus Angermünde auf den Hof seines Schwiegervaters kam und führt jetzt den Namen Ebel-Jürgens. Die gemeinsamen Kinder Emma (8) und Anton (5) sitzen selbstverständlich auch schon im Sattel und Emma hat inzwischen nicht nur Erfolge in Führzügel-Wettbewerben. Ulf gehört ebenfalls zu den erfolgreichsten Springreitern in MV, war Landesmeister und bildet vordergründig junge Springpferde aus, die meisten aus der Zucht von Martin Jürgens. Anna und Ulf haben sich auf dem Grundstück des Familienbetriebes ein eigenes Wohnhaus gebaut und arbeiten hauptberuflich mit.
Die züchterischen Erfolge von Martin Jürgens, für die er mit der silbernen Ehrennadel des Landes-Pferdezuchtverbandes ausgezeichnet wurde, sind schon fast legendär. Sie gipfeln in der Zucht des Olympia- und Europameisterschaftspferdes von André Thieme (Plau am See), von der der Europameister sagt: „Ich bin gesegnet mit diesem Pferd“. Anna beschreibt Chakaria als eher unauffälliges Fohlen. Bevor sich das Talent der Stute im Parcours so richtig offenbaren konnte, bekommt sie den Zuchtnamen Carelia und geht in die Zucht. Zwei Mal wird sie Mutter, beide Male von Diarano (v. Diarado-Patrick xx), einem von Martin Jürgens selbst gezogenen und von beiden Töchtern gerittenen gekörten Hengst. Auch Chakarias Mutter Askaria (v. Askari) ist 3-jährig, als Martin Jürgens sie von Hans-Joachim Weigt (Blüthen) erwirbt, in die Zucht gegangen.
Bereits in 3. Generation betreibt Familie Jürgens nun Pferdezucht. „Wir haben schon zu DDR-Zeiten gezüchtet, was damals aber nicht so einfach war“, erzählt Martin Jürgens. „Mein Vater hat es immer bedauert, dass unser damaliger Zuchtleiter Hellerung die Erfolge nicht mehr miterleben kann. Er hat es uns als Privatzüchter nicht immer leicht gemacht.“ Noch immer basiert die Jürgen’sche Zucht auch auf einem guten Stutenstamm aus der damaligen Zeit. Rund 60 Pferde – inklusive Stuten, Fohlen und Jungpferde – stehen im Betrieb. Die Umrüstung vom Milchvieh- in einen Pferdebetrieb „habe ich nie bereut“, wie er sagt, der seine Fohlen – bis auf wenige Ausnahmen – selbst aufzieht und durch seine Kinder ausbilden lässt.
Chakaria wurde 6-jährig von Ulf Ebel in den Sport gebracht. „Es war zu Beginn gar nicht so einfach mit ihr. Aber mein Mann ist ein kleiner Spezialist, was schwierige Pferde angeht. Das war ihr Glück“, sagt Anna Ebel-Jürgens. 2018 ist sie dann André Thieme aufgefallen, hat sie ausprobiert und ganz schnell gekauft. Die züchterische Erfolgsgeschichte von DSP Chakaria in Polzow könnte ihre Tochter Dackaria fortschreiben, selbst bis zur Klasse S erfolgreich und aktuell tragend von Chacoon Blue.
Die Grundlage der züchterischen Erfolge von Martin Jürgens legt die 1989 geborene Patrick xx/Drako-Stute Parjella. 11 ihrer Nachkommen von denen 7 erfolgreiche S-Springpferde wurden, sind bei der FN eingetragen. Am erfolgreichsten wurde der 2001 geborene Levisto-Sohn Levado, mit dem Tochter Anna ihre ersten und auch größten S-Erfolge hatte und den sie mit einem S-Erfolg 2019 in Plöwen (3. Platzt im GP) gesund und munter in den Ruhestand geschickt hat. „Ich habe viele Pferde geritten, aber dieses Pferd, für das mein Vater hohe Kaufangebote hatte, mit dem ich über 300 Platzierungen sammelte, darunter 98 Siege, ist mir wie kein anderes ans Herz gewachsen“, blickt Anna dankbar zurück.
Und weiter: „In ihrer jetzt 12-jährigen Tochter Charletta, die wie Chakaria von Chap abstammt, habe ich aber einen guten Ersatz, mit der ich auch schon 15 Siege bis Klasse S feiern konnte“. Auch der bereits erwähnte Hengst Diarano ist ein Sohn von Parjella. Nicht zu vergessen der jetzt 10-jährige Askari-Sohn Amageddon, den Anna ebenfalls in den Sport brachte. Auch Nationenpreisreiter und Derbysieger Carsten-Otto Nagel (Wedel) hat mit der jetzt 17-jährigen Stute La Conga (v. Landjonker), die ebenfalls von Anna in den Sport gebracht wurde, eine Tochter der Parjella geritten.
20 der Zuchtprodukte von Martin Jürgens waren 2021 erfolgreich, insgesamt sind es bisher 46. Aktuell sind 59 Pferde von ihm bei der FN als Reitpferde eingetragen. Eine züchterische Bilanz die nur wenige Züchter vorweisen können. Mit der Familie seines Bruders Olaf arbeitet die Familie von Martin Jürgens ganz eng zusammen. Beide sind über den RSV Polzow verbunden, dessen Vorsitzender Martin Jürgens ist. 2021 zählte der Verein 24 aktive und erfolgreiche Turnierreiter. Nur der RFV Gadebusch hat in MV mit 29 mehr. Zusammen organisieren sie in Pandemie freien Zeiten zwei Reitturniere. Einst auf der Anlage von Olaf Jürgens und ein Hallenturnier auf der Anlage von Martin Jürgens. Die Züchter der Region versammelt Martin Jürgens als Vorsitzender im regionalen Pferdezuchtverein Uecker-Randow und führt auf seiner Anlage die jährliche Fohlenschau durch. Mögen ihm die Kräfte geschenkt werden, dass er noch viele Jahre fruchtbringend mit seiner Familie in der Pferdezucht und im Pferdesport wirkt. (fw)