Die klassische deutsche Reitlehre ist zum Immateriellen Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen ernannt worden. Außerdem hat das Land NRW die Kulturform zur Aufnahme in das Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes vorgeschlagen. Eine Entscheidung darüber fällt im Frühjahr 2023. Initiator der Bewerbung war die Bundesvereinigung der Berufsreiter (BBR) unterstützt von der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) und den Deutschen Landgestüten.

Intention für die Bewerbung war der Wunsch, das jahrhundertealte Wissen rund um das Kulturgut Pferd in der Geschichte des Menschen zu bewahren. Es geht um die zeitlose Ausbildung von Pferd/Reiter nach klassischen Grundsätzen und um die Ausbildung als jahrhundertealte Handwerks- und Kunstform, die regional, national und inzwischen auch international fast in der gesamten Welt betrieben wird, und auf der der weltweit einzigartige Berufsstand der Berufsreiter basiert.

Reiten gilt als gesundheitsfördernd, es bringt Bewegung an der frischen Luft und kann bis ins hohe Alter ausgeübt werden. Reiten ist naturverbunden und führt zu einem nachhaltigen Naturverständnis. Die Beschäftigung mit dem Pferd/Reiten hat besonders auf Heranwachsende einen positiven Einfluss und fördert neben körperlichen Fertigkeiten vor allem auch soziale Kompetenzen: Verantwortungsbewusstsein, Mut, Respekt, Durchhaltevermögen, Selbstbewusstsein, Teamgeist und Freundschaft.

Die Reiterei in Deutschland orientierte sich ab dem 19. Jahrhundert vor allem am Ausbildungssystem Eduard Gustav Steinbrechts (1808-1885), der als „Vater der deutschen Reitlehre“ gilt. Sein Buch „Gymnasium des Pferdes“ gilt heute noch als „die Bibel“ der klassischen Reitlehre deutscher Couleur und ist im weitesten Sinne die Grundlage der heute in Deutschland geltenden „Richtlinien für Reiten und Fahren“. Namen wie Stensbeck, von Heydebreck, Müseler, Lörke, Wätjen oder Bürger stehen für Reitmeister des 20. Jahrhunderts.
Die zeitlose, klassische deutsche Reitlehre übernimmt Verantwortung für die Kreatur. Sie orientiert sich an der Natur sowie den natürlichen und individuellen Anlagen des Pferdes, berücksichtigt seine körperlichen Voraussetzungen und sein natürliches Verhalten und ist bei regelkonformer Anwendung artgerecht und gesundheitsfördernd. Die klassische deutsche Reitlehre hat nichts mit dem Dressieren oder Unterwerfen eines Tieres zu tun, sie zielt vielmehr auf eine ausgewogene Gymnastizierung und Kräftigung seines Körpers und damit auf seine Förderung ab. Diese Arbeit eines Pferdes ist sowohl abwechslungsreich als auch vielseitig angelegt und schafft und erhält ein leistungsbereites, willig und vertrauensvoll mitarbeitendes Pferd. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der „Skala der Ausbildung“, die auf die H.Dv.12 zurückgeht. Die „Skala der Ausbildung/Ausbildungsskala“ gilt inzwischen weltweit als das Markenzeichen guter Pferde-/Reiterausbildung „Made in Germany“.

Die klassische deutsche Reitlehre wird in Generationen weitergegeben. Ihr Wissen und Können einzusetzen und zu übermitteln ist Aufgabe der Vertreter des Berufsreitertums (Bereiter:in, Reitlehrer:in, Pferdewirt:in), um das Pferd vom Sattel aus oder auch Pferd und Reiter gemeinsam im Unterricht entsprechend den Inhalten der klassischen deutschen Reitlehre zu unterweisen und zu fördern. Die BBR setzt sich darüber hinaus in Politik und Öffentlichkeit für das Tierwohl ein und beteiligt sich aktiv an der Weiterentwicklung des Berufsreitertums mit dem Ziel, Multiplikatoren der klassischen deutschen Reitlehre zu sein und sie zu leben.

 

Bild von Martin Stamkötter (Foto: Cora M. Jennissen)